Trotz Fachkräftemangel: Strenges Bewerber-Screening ist wichtig
Beim Bewerber-Screening werden die Angaben und Hintergründe eines Kandidaten vor der Einstellung intensiv überprüft. Ist es ratsam, angesichts des Fachkräftemangels so wählerisch zu sein? Was gehört zu einem Screening-Prozess dazu? Dieser Artikel gibt Ihnen einen Überblick.
Die Zahl unbesetzter Stellen und die durchschnittliche Dauer, bis eine Stelle neu besetzt wird, sind auf einem Rekordhoch. Bei Fachkräften sind Vakanzzeiten von 4-6 Monaten die Normalität. Obwohl der Markt in vielen Branchen leergefegt ist, üben die Fachabteilungen Druck auf HR aus und fordern schnelle Recruiting-Erfolge.
Warum strenges Bewerber-Screening wichtig ist
Mit diesem Druck steigt die Versuchung, auf Qualität zugunsten von Schnelligkeit zu verzichten und jeden Kandidaten einzustellen, der ungefähr auf die Stellenbeschreibung passt. Diese Lösung verspricht höchstens kurzfristige Erleichterung. Die Erfahrung zeigt, dass unpassende Mitarbeiter schnell wieder gehen (müssen), weil sie die Anforderungen nicht erfüllen oder nicht mit dem Team harmonieren. Oder – was noch schlimmer ist – sie bleiben, sind weniger produktiv, beeinträchtigen das Arbeitsklima und schädigen Ihr Unternehmen.
Obwohl gute Kandidaten knapp sind – oder genau deswegen –, ist ein strenges Bewerber-Screening enorm wichtig. Was ist darunter zu verstehen? In einem Bewerber-Screening überprüfen Sie Kandidaten und ihre Angaben in der Bewerbung, bevor Sie sie einstellen. Der Prozess findet entweder während des Auswahlverfahrens statt, nach dem ersten Vorstellungsgespräch oder vor der Vertragsunterzeichnung. Das Bewerber-Screening wird auch als Pre-Employment-Check oder Hintergrund-Check bezeichnet.
Ziele des Bewerber-Screenings
Mit einem Bewerber-Screening verfolgen Sie grundsätzlich drei Ziele:
Sie überprüfen, ob der Kandidat ehrliche Angaben in Bezug auf seine bisherigen Abschlüsse, Beschäftigungsverhältnisse und Qualifikationen gemacht hat.
Sie prüfen, ob der Kandidat die fachliche und menschliche Eignung für eine bestimmte Stelle besitzt und sich auch in die Unternehmenskultur einfügen würde.
Sie vermeiden es, Mitarbeiter einzustellen, die Ihrem Unternehmen schaden würden, z. B. durch Mobbing von Kollegen oder kriminelle Aktivitäten wie Datendiebstahl und Korruption. Solche so genannten "toxischen" Mitarbeiter sind oft vordergründig sehr vielversprechend und daher schwer zu erkennen.
Was gehört zum Screening-Prozess und was nicht?
Umfassende Screenings und Background-Checks sind im angelsächsischen Raum sehr verbreitet, bei uns jedoch weniger bekannt – von international agierenden Konzernen abgesehen. Im traditionell Datenschutz-bewussten Deutschland wird der Begriff “Screening” oft kritisch gesehen und mit “Ausspionieren” assoziiert. Die rechtlichen Grundlagen sind nicht einfach einzuhalten. Deswegen überprüfen nur 13 % der deutschen Unternehmen ihre Bewerber systematisch, wie eine Umfrage von Deloitte ergab.
Dabei bedeutet Bewerber-Screening nicht, den Bewerber zu googeln und von Urlaubsbildern bis Foren-Kommentaren alle verfügbaren Daten auszuwerten. Es bedeutet auch nicht, im Privatleben eines Kandidaten zu schnüffeln und zu beurteilen, ob seine Wochenendaktivitäten oder politischen Ansichten den Maßstäben des Personalers oder Chefs entsprechen.
Mit einem solchen Verständnis von Screening bewegen Sie sich nicht nur im illegalen Bereich. Sie laufen auch Gefahr, gute Kandidaten aufgrund von Kriterien auszusortieren, die nichts mit der Eignung für eine Position zu tun haben.
Wenn Sie Bewerber im legalen Rahmen überprüfen möchten, können Sie folgende fünf Methoden anwenden:
1. Richtigkeit von Dokumenten und Angaben prüfen
Prüfen Sie nach, ob die Angaben im Lebenslauf stimmen und ob alle eingereichten Dokumente echt sind. Sie können zum Beispiel vergleichen, ob die Angaben auf allen Dokumenten schlüssig sind und übereinstimmen oder ob es widersprüchliche Datumsangaben gibt. Auch berufliche Profile auf Plattformen wie XING oder LinkedIn können Sie zum Vergleich heranziehen.
Bitten Sie den Bewerber, wichtige Dokumente wie Diploma, Zertifikate oder Weniger als ein Drittel der deutschen Unternehmen nutzen laut der erwähnten Deloitte-Umfrage diese einfache und effektive Methode, um Dokumentenfälschungen zu entdecken.
2. Online-Recherche
Recherchieren Sie online in öffentlich zugänglichen und laut Arbeitnehmerdatenschutzgesetz erlaubten Quellen nach Informationen über einen Bewerber. Darunter fallen die erwähnten Business-Netzwerke, Online-Magazine oder eigene Webseiten des Bewerbers. Suchen Sie nach Belegen für die Qualifikationen oder die Reputation eines Bewerbers, nach bisherigen Projekten oder gewonnenen Auszeichnungen.
In sensiblen Feldern wie im Sozial- und Erziehungswesen, in der Finanz- und Sicherheitsbranche oder bei hohen Führungspositionen kann es legitim sein, auch persönliche Informationen einzuholen, um den Charakter oder Ansichten des Kandidaten beurteilen zu können. In jedem Fall müssen Sie den Kandidaten vorher um Zustimmung für ein solches Screening bitten.
Informationen aus geschützten, sozialen Netzwerken wie Facebook, die nicht explizit beruflichen Zwecken dienen, dürfen Sie legal nicht nutzen. Die AGB der Betreiber und deutsche Gesetze schließen das aus. Nur wenn ein Kandidat explizit einwilligt, dürfen Sie persönliche Profile und Posts auswerten.
3. Gespräche mit ehemaligen Arbeitgebern und Referenzpersonen
Gespräche mit ehemaligen Arbeitgebern sind sehr aufschlussreich– in der Regel ist der direkte Vorgesetzte der richtige Ansprechpartner. Sie erfahren Details über die Qualifikationen des Kandidaten, besonders über seine Soft Skills, Motivation und Potenziale. Solche Gespräche helfen Ihnen, um wirklich beurteilen zu können, ob ein Kandidat fachlich und menschlich ins Unternehmen passt.
Fragen Sie den Kandidaten um Erlaubnis, seine bisherigen Arbeitgeber zu kontaktieren. Sie können ihn auch um eine Liste mit weiteren Referenzpersonen bitten, die Sie befragen dürfen.
4. Auskünfte von Behörden oder Dienstleistern
Je nach Branche und Tätigkeitsbereich müssen Bewerber ein polizeiliches Führungszeugnis oder ein Gesundheitszeugnis vorlegen. Bei Positionen, in der ein Mitarbeiter größere Mengen an Geld verwaltet oder hohe Verantwortung trägt, z. B. als Kassierer oder Finanzvorstand, mag eine Überprüfung der finanziellen Situation erforderlich sein, z. B. über eine SCHUFA-Auskunft.
5. Eigene Tests und Assessment-Center
Sie ordnen Assessment-Center wahrscheinlich nicht unter die Rubrik Bewerber-Screening ein. Über sie können Sie aber gut nachprüfen, ob Bewerber die erforderlichen sowie in der Bewerbung angegebenen Qualifikationen besitzen und ob deren Motivation und Charakter zum Unternehmen passen.
In bestimmten Branchen führen Unternehmen eigene Gesundheits- oder auch Drogenchecks durch. Psychologische Tests, in den USA sehr beliebt, sind hierzulande unüblich.
Zeigen Sie Respekt vor Ihren Bewerbern
Bei einem Bewerber-Screening agieren Sie in einem sensiblen Umfeld. Sie müssen den Datenschutz und die Persönlichkeitsrechte Ihrer Bewerber achten. Andererseits steht auch Ihr Arbeitgeberimage auf dem Spiel: Wer möchte schon in einem Unternehmen arbeiten, das ungefragt im Privatleben seiner Mitarbeiter herumschnüffelt?
Beachten Sie deshalb folgende Hinweise:
Informieren Sie den Bewerber grundsätzlich, dass Sie ein Bewerber-Screening durchführen. Listen Sie detailliert auf, welche Daten Sie sammeln und holen Sie seine schriftliche Zustimmung dazu ein.
Dokumentieren Sie alle Prozesse, damit Sie den korrekten Umgang mit den Daten nachweisen können, z. B. in einer digitalen Personalakte.
Speichern Sie personenbezogene Daten nur in einer sicheren Umgebung, am besten in einer datenschutzkonformen Personalsoftware.
Bewerten Sie nur Daten, die relevant sind, um die berufliche Eignung des Kandidaten zu prüfen. Von Ausnahmen abgesehen, ist das Privatleben tabu und sollte keine Rolle spielen.
Geben Sie Kandidaten immer die Möglichkeit, zu negativen Screening-Ergebnissen Stellung zu nehmen. Das gebietet allein der Respekt. Informationen können falsch oder veraltet sein oder Sie kennen nicht alle Fakten. Durch ein klärendes Gespräch vermeiden Sie, einen tollen Mitarbeiter aufgrund einer Fehleinschätzung zu verlieren.
Die erwähnten Punkte sind nur eine kurze Zusammenfassung. Bitte informieren Sie sich ausführlich über die gesetzlichen Grundlagen und lassen Sie sich im Zweifelsfall beraten.
Das Erfolgsgeheimnis: Mit dem Fachbereich zusammenarbeiten
Bewerber-Screening ist aufwändig, bindet Ressourcen und verlängert den Recruiting-Prozess. Darauf zu verzichten, ist allerdings keine Lösung. Stattdessen sollten Sie den Screening-Prozess so effizient wie möglich gestalten. Das bedeutet:
Sie prüfen nur die Kriterien, die zur Beurteilung eines Bewerbers für eine Stelle relevant sind: So viele wie nötig, so wenige wie möglich.
Sie lassen die Kriterien jeweils von den Kollegen prüfen, die die Anforderungen am besten kennen und einschätzen können. Idealerweise haben Sie bereits im Vorfeld ein gemeinsames Anforderungsprofil erstellt.Um die Unterlagen möglichst einfach zu teilen, nutzen Sie am Besten eine E-Recruiting Software mit frei definierbaren Ansichtsrechen.
Sie nutzen standardisierte Methoden als festen Bestandteil Ihrer Recruiting-Strategie, messen die Ergebnisse und optimieren die Prozesse immer wieder.
Dafür müssen Sie gut mit den Fachbereichen zusammenarbeiten. Planen Sie frühzeitig den Personalbedarf. Definieren Sie gemeinsam die Erwartungen und Anforderungen an neue Mitarbeiter und die Bewertungskriterien für das Screening. Binden Sie die Führungskräfte aus den Fachabteilungen dann in den Screening-Prozess mit ein. Holen Sie sich regelmäßiges Feedback und arbeiten Sie gemeinsam an Verbesserungen.
Durch die vertrauensvolle Zusammenarbeit beim Bewerber-Screening erhöhen Sie nicht nur die Qualität Ihrer neuen Mitarbeiter. Je besser die Fachbereiche Ihre Prozesse und intensive Arbeit kennen und schätzen lernen, desto eher können Sie Ressourcen und Budgets für HR durchsetzen. Sie machen deutlich, wie wichtig es Ihnen ist, die bestmöglichen Mitarbeiter zu finden. Gleichzeitig reduzieren Sie den Druck, überhastet neue Mitarbeiter einzustellen. Qualität braucht seine Zeit – diese Wahrheit ist auch in den Fachbereichen bekannt.