Beurteilungsfehler: Arten von Fehlern, Folgen und Beispiele
Wir alle kennen diese Fälle: Mitarbeitende werden trotz guter Leistung schlechter bewertet, Kandidat:innen bekommen die Stelle trotz mangelnder Skills. Wie es dazu kommen kann? Grund sind Beurteilungsfehler, die oft ganz unbewusst passieren. Wir zeigen ihnen typische Beurteilungsfehler und geben Ihnen Tipps, wie sie solche Fehler vermeiden können.
Mit dieser Vorlage bewerten Sie Leistung fair und objektiv.Was sind Beurteilungsfehler und warum machen wir sie?
Führungskräfte oder andere beurteilende Personen nehmen die Kompetenzen oder die Eignung von Personen häufig verfälscht wahr: Ihre Gefühle, Werte oder Vorstellungen beeinflussen unbewusst oder auch bewusst, wie sie Personen in Bewerbungs- oder Mitarbeitergesprächen bewerten. Dadurch kommt es zu Beurteilungsfehlern. Üblicherweise führt das dazu, dass Personen unter- oder überbewertet oder bspw. für eine Stelle nicht in Betracht gezogen werden.
Das bedeutet also, dass Beurteilungen nie wirklich objektiv ausfallen, sondern fast immer subjektiv geprägt sind. Die Ursache dafür liegt in unserem Gehirn. In unserer komplexen Umwelt, in der wir unzählige Dinge gleichzeitig wahrnehmen, muss unser Gehirn kognitive Abkürzungen nehmen, um alles verarbeiten zu können. Es trennt Wichtiges von Unwichtigem, vereinfacht es und sortiert Dinge für uns direkt in Schubladen. Das ist zwar sehr effizient, bedeutet aber auch, dass alles, was wir wahrnehmen, schon durch diese individuellen Denkmuster gelaufen ist. Das Problematische: Diese erste Einschätzung muss nicht immer stimmen. Und das kann für betroffene Mitarbeiter:innen oder Bewerber:innen negative (oder auch positive) Folgen haben, wie wir später im Artikel sehen.
Typische Beurteilungsfehler in der Wahrnehmung von Personen: Beispiele
Beurteilungsfehler lassen sich in drei Kategorien unterteilen:
Wahrnehmungsverzerrungen: Bestimmte Aspekte werden von der bewertenden Person überbewertet.
Maßstabsprobleme: Die bewertende Person hat andere Anspruchsniveaus als andere Beurteiler:innen.
Bewusste Verfälschungen: Um bestimmte Ziele zu erreichen, manipuliert die bewertende Person ihre Beurteilung bewusst.
Darüber hinaus kann es natürlich auch vorkommen, dass Personen Dinge aufgrund von kognitiven Problemen fehlerhaft wahrnehmen oder speichern.
Das sind Beispiele für Wahrnehmungsverzerrungen, die zu Beurteilungsfehlern von Mitarbeitenden führen:
Halo-Effekt | Die Beurteilenden bewerten ein Merkmal über, das bei der Person besonders ausgeprägt ist. Das führt dazu, dass sie nur diese Eigenschaft beurteilen und andere außer acht lassen. Beispiel: Eine Mitarbeiterin ist besonders eloquent, dafür aber weniger zuverlässig und organisiert. Ihre Eloquenz überstrahlt aber ihre Schwächen – wie ein Halo oder Heiligenschein. Der Halo-Effekt ist übrigens auch die Ursache dafür, dass attraktive Menschen laut Studien mehr Erfolg im Job haben: Mit ihrer hohen Attraktivität wird automatisch auch eine hohe Intelligenz verbunden. |
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Nikolaus-Effekt (Regency-Effekt) | Was der Nikolaus mit diesem Effekt zu tun hat? Nicht das Verhalten über das letzte Jahr, sondern eigentlich nur das in den letzten Wochen vor Dezember hat einen Einfluss darauf, ob es Geschenke oder eine Rute für die Kinder gibt. Übertragen in die Business-Welt: Die Beurteiler:innen fokussieren sich auf Ergebnisse oder Projekte, die kurz vor dem Gespräch abgeliefert wurden – auch wenn diese nicht für die gesamte Jahres-Performance sprechen. Beispiel: Einem Mitarbeiter ist kurz vor dem Beurteilungsgespräch ein grober Fehler unterlaufen. Obwohl er das restliche Jahr zuverlässig gute Ergebnisse abgeliefert hat, fällt seine Beurteilung negativer als sonst aus. |
Primacy-Effekt (First-Impression-Effekt) | Der erste Eindruck zählt – das zeigt dieser Effekt. Informationen und Eindrücke, die Beurteiler:innen bspw. zu Beginn eines Bewerbungsgesprächs wahrnehmen, prägen ihr Urteil mehr als Dinge, die später hinzukommen. Beispiel: Ein Kandidat, der am Anfang des Gesprächs kompetent und sympathisch rüberkommt, hat gute Karten – auch wenn das restliche Gespräch weniger gut läuft. |
Kleber-Effekt | Frühere Beurteilungen haben oft einen Einfluss auf die aktuelle, auch wenn die Angestellten sich weiterentwickelt haben. Sie bleiben sozusagen an ihnen kleben. Beispiel: Mitarbeiter:innen, die länger nicht befördert wurden, werden gerne mal unterschätzt und gehen auch in einer neuen Runde leer aus. |
Lorbeer-Effekt | Das funktioniert auch in die andere Richtung: Lorbeeren, die Mitarbeiter:innen in der Vergangenheit gesammelt haben, führen bei diesem Effekt dazu, dass die Beurteiler:innen sie auch weiterhin gut einschätzen – auch wenn sie im aktuellen Beurteilungszeitraum vielleicht keine nennenswerten Erfolge vorweisen können. Beispiel: Eine Mitarbeiter:in hat vor zwei Jahren den bisher größten Kunden für das Unternehmen akquiriert. Davon profitiert sie in ihren Beurteilungen bis heute, obwohl sie danach keine weiteren Neukunden gewinnen konnte. |
Andorra-Effekt | Beurteiler:innen passen sich oft an Meinungen und Bewertungen an, die in der Gesellschaft vorherrschen. Das resultiert in einer „Self-fulfilling prophecy“: Die bewertete Person verhält sich mit der Zeit genau wie in der Beurteilung vorhergesagt, obwohl sie sich ohne diese anders verhalten hätte. Beispiel: Eine Mutter, die aus der Elternzeit zurückkehrt, wird ständig als wenig engagiert bewertet, weil ihre Führungskraft – von der gesellschaftlichen Überzeugungen geprägt – unbewusst davon ausgeht, dass sie angesichts der privaten Care-Arbeit keine große Performance im Job zeigen kann. Dass sie und ihr Partner sich die Kinderbetreuung aufteilen und sie hochmotiviert ist, wieder in den Job zu starten, fällt dabei nicht ins Gewicht. Diese Beurteilung könnte aber tatsächlich dazu führen, dass ihre Motivation und damit ihr Engagement abnimmt. |
Hierarchie-Effekt | Oft werden Mitarbeiter:innen auf höheren Hierarchiestufen besser bewertet als Personen unter ihnen. Auch Auszeichnungen oder akademische Titel können zu dieser Überbewertung führen. Beispiel: Ein Kandidat hat in seinem letzten Job eine Auszeichnung für sein Marketing-Projekt gewonnen. Er wird eingestellt, obwohl der kulturelle Fit mit dem Unternehmen und dem Team nicht gegeben ist. |
Auch Maßstabsprobleme haben verschiedene Ausprägungen:
Tendenz zur Milde | Hier bewerten die beurteilenden Personen deutlich milder als andere, ihr Anspruchsniveau ist geringer |
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Tendenz zur Mitte | Diese Beurteiler:innen tendieren eher zu mittleren Werten in ihrer Einschätzung – auch wenn Kandidat:innen oder Mitarbeiter:innen besser oder schlechter sind. |
Tendenz zur Strenge | Wer Beurteiler:innen mit einem hohen Anspruchsniveau hat, wird eher schlechter bewertet. |
Antipathie-/Sympathiefehler | Finden beurteilende Personen Mitarbeiter:innen sympathisch, werden sie sie eher besser bewerten. Wer ihnen unsympathisch ist, erhält hingegen eher eine schlechte Beurteilung. |
Welche Folgen Beurteilungsfehler im HR haben können
Wenn Führungskräfte oder HR Manager:innen die Leistung oder Potenziale von Mitarbeiter:innen und Kandidat:innen verfälscht wahrnehmen und so falsch beurteilen, hat das Folgen für die betroffenen Personen, das Recruiting und das Unternehmen.
Fehlende oder ungeeignete Entwicklungsmaßnahmen: Fehleinschätzungen können dazu führen, dass Angestellte keine Weiterentwicklungschancen bekommen und auch nicht in passende Maßnahmen wie Trainings investiert wird, die sie auf die nächste Positionsstufe vorbereiten.
Finanzielle Nachteile: In vielen Unternehmen ist das Ergebnis der jährlichen Leistungsbeurteilung an Boni gekoppelt. Beurteilungsfehler können sich also negativ (oder bei einer Überschätzung auch positiv) auf dem Konto bemerkbar machen.
Fehleinstellungen: Beurteilungsfehler können jeden Schritt im Recruiting negativ beeinflussen. So kann es passieren, dass eigentlich sehr gut geeignete Bewerber:innen schon früh im Prozess aussortiert werden oder dass sich das Verfahren hinzieht, weil sich die Beurteilenden nicht einig sind. Im Worst Case kommt es zu Fehleinstellungen und die neue Person passt entweder fachlich oder persönlich nicht ins Team. Deswegen ist es unerlässlich, dass sich Recruiter:innen bewusst sind, dass sie und auch die Vertreter:innen aus dem Fachbereich die Kandidat:innen wahrscheinlich verfälscht wahrnehmen.
Personalfluktuation: Fehleinstellungen müssen vielleicht noch innerhalb der Probezeit gehen. Und wer den Eindruck hat, dass die Führungskraft einen permanent falsch einschätzt, ist demotiviert und sucht früher oder später nach einem anderen Job. Beurteilungsfehler resultieren also nicht selten in einer hohen Fluktuation – und das kostet dem Unternehmen Geld.
Underperformer: Entpuppt sich der oder die neue Kolleg:in als nicht so kompetent wie erwartet, kann das zulasten der Team-Performance gehen und sich negativ auf die Motivation der anderen Teammitglieder auswirken, die das ggf. auffangen müssen.
Fünf Tipps, wie Sie Beurteilungsfehler vermeiden
Sie sehen also, wie wichtig es ist, dass beurteilende Personen – Vorgesetzte oder HR-Expert:innen – Beurteilungsfehler möglichst vermeiden. Doch wo setzt man an, wenn diese kognitiven Prozesse doch in der Regel unterbewusst ablaufen?
Wir haben fünf Tipps für Sie:
1. Machen Sie sich bewusst, dass ihre Beurteilung höchstwahrscheinlich nicht objektiv ist und hinterfragen Sie Ihre Denkmuster: Welche Art von Personen nehmen Sie generell als besonders kompetent oder sympathisch wahr? Fallen Ihnen bestimmte Vorurteile auf? Auch Interviewtrainings oder Seminare zu Themen wie Unconsicous Bias können Ihnen helfen, Ihre Beurteilungsfehler zu erkennen.
2. Halten Sie Ihre Beobachtungen schriftlich fest. Berücksichtigen Sie dabei sowohl positive als auch negative Aspekte. Es hilft auch, sich an objektiv messbaren Leistungen oder Qualifikationen von Mitarbeiter:innen oder Bewerber:innen zu orientieren. Wie Sie anschließend konstruktives Feedback geben, das Ihren Mitarbeiter:innen in ihrer Weiterentwicklung unterstützt, haben wir Ihnen in diesem Leitfaden zusammengefasst.
3. Idealerweise nutzen Sie standardisierte Bewertungsbögen in Bewerbungsrunden und standardisierte Bögen zur fairen Leistungsbeurteilung in Mitarbeitergesprächen. Gibt es z. B. im Bewerbungsprozess mehrere Beurteiler:innen sollten alle die gleichen Bögen nutzen. Nach dem Gespräch diskutieren Sie dann Ihre jeweilige Wahrnehmung.
4. Einigen Sie sich unter den Beurteilenden vorab darauf, welche Kriterien bspw. für eine Beförderung oder eine Einstellung entscheidend sind.
5. Um zum Beispiel dem Nikolaus-Effekt zu entgehen, können Sie als Führungskraft regelmäßig Beobachtungen und Bewertungen zu Mitarbeiter:innen festhalten. Dabei unterstützen Sie zum Beispiel Tools im Bereich Performance Management.